Kampf gegen Thalassämie in der Corona-Krise
Über 120 an Thalassämie erkrankte Kinder aus Anantapur und benachbarten Bezirken werden im Stiftungs-Krankenhaus in Bathalapalli behandelt.
Die zehnjährige Supriya versteht nicht, warum sie alle 15 Tage eine Bluttransfusion braucht, während der Rest ihrer Freunde nicht ins Krankenhaus gehen muss. Der Grund dafür ist, dass sie an Thalassämie leidet.
Thalassämie ist eine erbliche Blutkrankheit, die die Fähigkeit des Körpers, Hämoglobin und rote Blutkörperchen zu produzieren, beeinträchtigt. Die Art der Behandlung hängt von der Schwere der Erkrankung ab. Menschen mit leichter Thalassämie leiden an Anämie, benötigen aber möglicherweise keine Behandlung, schwerere Formen erfordern jedoch regelmäßige Bluttransfusionen. Wie im Fall von Supriya.
„Jetzt, da Supriya älter wird, hat sie viele Fragen zu ihrer Krankheit. Die Stiftung hat mir viele Informationen zu der Krankheit meiner Tochter gegeben und mich gut beraten, aber ich kann nicht alle Fragen meiner Tochter beantworten“, sagt Nagamani, die Mutter. Sie und ihr Mann hatten bis zur Diagnose bei ihrer Tochter noch nie von dieser Krankheit gehört. Nagamani arbeitet als Landarbeiterin und ihr Ehemann ist Fahrer. „Es ist sehr schwer für uns, alle fünfzehn Tage ins Krankenhaus zu kommen, weil wir an diesem Tag nicht arbeiten können und dann kein Geld verdienen“, erklärt sie.
Experten zufolge gilt Indien als Hochburg von Thalassämie mit 40 Millionen Trägern und mehr als 100.000 Menschen in Behandlung, von denen rund die Hälfte unter 25 Jahre alt sind. Schätzungen zufolge werden jedes Jahr 10.000 Babys mit dieser Krankheit geboren. Neben den verschiedenen physischen und psychischen Problemen, die mit der Krankheit einhergehen, ist die lebenslange Behandlung von Menschen mit Thalassämie für die Betroffenen und ihre Familien sehr schwierig.
Kürzlich hatten Supriya und ihre Mutter wieder einen Termin bei Dr. Bhaskar, einem Kinderarzt. Aber statt in das Stiftungs-Krankenhaus in Bathalapalli zu gehen, wo sie normalerweise die Transfusion bekommt, wird Supriya in dem Gebäude der Fachschule der Stiftung behandelt. Dort ist vorübergehend die Anlaufstelle für an Thalassämie erkrankte Kinder eingerichtet worden. Seit der Schließung aller Schulen in Indien hat sich die Fachschule für Fremdsprachen vorübergehend in ein Zentrum für Gynäkologie und Geburtshilfe verwandelt. Auch Teile der pädiatrischen Abteilung des Stiftungs-Krankenhauses Bathalapalli sind dort vorübergehend unter gekommen, wie die Abteilung für an Thalassämie erkrankte Kinder.
„Vor der COVID-19-Pandemie wurden in dem Krankenhaus in Bathalapalli täglich etwa acht bis zehn Kinder behandelt. Jetzt werden in dieser neuen provisorischen Einrichtung täglich fünf Kinder behandelt, wobei auf körperliche Distanz geachtet wird“, erklärt Dr. Dasarath, Leiter der pädiatrischen Abteilung. Insgesamt werden mehr als 120 Kinder aus Anantapur und den angrenzenden Bezirken im Stiftungs-Krankenhaus betreut.
Die pädiatrische Abteilung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz bei der Gesundheitsbetreuung seiner kleinen Patientinnen und Patienten. Die Behandlung beschränkt sich nicht nur auf das Krankheitsbild von Thalassämie und die notwendigen Transfusionen. Die betroffenen Kindern erhalten alle Behandlungen und Medikamente, die für ihre Gesundheitsversorgung notwendig sind. Das Hilfs-Projekt zur Unterstützung an Thalassämie erkrankter Kinder wird in Kooperation mit People’s Tree Hospitals in Bangalore und der Sankal Foundation durchgeführt.
„Ich bin der Vicente Ferrer Stiftung Indien sehr dankbar. Ohne sie hätten wir Supriya nicht die erforderliche Behandlung zukommen lassen können. Trotz der Ausgangsbeschränkungen kümmern sie sich um meine Tochter, und sie haben uns geholfen, Sondergenehmigungen zu erhalten, sodass wir keine Probleme mit der Polizei haben, wenn wir hierherkommen“, sagt Nagamani.
Die wichtigste Blutbank befindet sich auf dem Gelände des Krankenhauses in Bathalapalli. Dort wird das Blut verarbeitet und an die provisorische Einrichtung in der Fachschule geschickt. Hier wurde eine vorübergehende Blutspendenstation eingerichtet, um Blutspenden zu unterstützen.
„Eine der größten Herausforderungen, vor denen wir derzeit stehen, ist der Rückgang an Blutspenden. Die Zahl der Blutspenden geht im Sommer immer zurück, da unsere wichtigsten Blutspender Studierende sind und sie zu dieser Zeit in den Ferien sind. In der globalen Pandemie und der daraus resultierenden Ausgangssperre ist die Situation jedoch noch schlimmer, da die Studenten früher in ihre Dörfer zurückkehren mussten, es keine Transportmöglichkeiten gibt und die Menschen Angst haben, zu uns zu kommen“, erklärt Dr. Bhaskar.
„Nehmen Sie zum Beispiel die Situation von Supriya. Bei ihr wurde Thalassämie diagnostiziert, als sie drei Monate alt war, und seitdem braucht sie Bluttransfusionen. Zuerst einmal im Monat, aber seit sie zehn Jahre alt ist, zweimal im Monat. Es besteht also ein dringender Bedarf an weiteren Blutspenden“, fügt er hinzu. Das medizinische Personal dieses Zentrums motiviert die Angehörigen der Patienten zur Spende, da es nicht nur für die Behandlung von den 120 an Thalassämie erkrankten Kindern Blut benötigt, sondern auch für die Frauen, die dort im Krankenhaus entbinden.
Die Ausgangssperre hat für jeden von uns andere Herausforderungen mit sich gebracht. Aber für Kinder und Menschen mit Thalassämie und anderen Gesundheitsproblemen gibt es eine große Unsicherheit, die ihr Leben bedroht.
Text: Felita Viegas, Übersetzung: Vicente Ferrer Stiftung Deutschland