Eine Geschichte über Schwesterliebe, Verlust und Hoffnung
In allerletzter Minute wurde die hochschwangere Padmini* in das Stiftungs-Krankenhaus in Kalyandurg eingeliefert. Die Mutter von sechs Töchtern erwartete ihr siebtes Kind. Würde es dieses Mal ein Junge werden? Im ländlichen Indien gelten Mädchen auch heute noch häufig als Belastung und müssen beschützt werden, während Jungen als Versorger und Beschützer der Familie angesehen werden. Nachdem Padmini sechs Mädchen bekommen hatten, wuchs der Druck von allen Seiten. Insbesondere ihre traditionsbewussten Schwiegereltern drängten auf einen männlichen Nachkommen. Während Padmini zur Entbindung im Krankenhaus war, erlitt ihr Ehemann ein Nierenversagen und wurde in dasselbe Krankenhaus eingeliefert.
Padmini schloss mit 18 Jahren die 12. Klasse ab und begann anschließend eine Ausbildung in der Krankenpflege, während ihr Ehemann Krishna* als Journalist bei einer lokalen Zeitung arbeitete. Ihre gemeinsame Reise, schwankte zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Die Traditionen, die Gesellschaft und ihre Familien, verlangten nach einem männlichen Erben. Mit großer Ungewissheit und der Hoffnung auf ein wohlwollendes Schicksal brachte Padmini ihr siebtes Kind zur Welt. Es war auch dieses Mal wieder ein Mädchen.
Für diesen Fall hatte Padminis Vater bereits einige Tage vor der Geburt, mit dem Einverständnis der Mutter und des Vaters, die Adoption des Mädchens arrangiert. Die Schwestern des Neugeborenen wollten das Mädchen aber unter keinen Umständen abgeben. Im Krankenhaus protestierten sie, baten und flehten die Eltern an, das Baby zu behalten. „Sie stellten sich schützend vor das Baby, weil sie es nicht zur Adoption freigeben lassen wollten. Sie wollten, dass ihre Schwester bei ihnen bleibt“, sagt Sreenu*, der Vater von Padmini. Einige Tage nach der Entbindung kehrte Padmini mit ihrer neugeborenen Tochter nach Hause zu ihren enttäuschten Schwiegereltern zurück.
Krishnas Zustand verschlechterte sich weiter und nur neun Tage nach der Geburt seines siebten Kindes verstarb er. Der Tod ihres Mannes, des Ernährers der Familie, stürzte Padmini und ihre sieben Kinder in den Teufelskreis der Armut. Geschwächt von der Geburt und einer Anämie war sie nicht in der Lage arbeiten zu gehen, um Geld zu verdienen. Ihre Schwiegereltern wollten nicht die Verantwortung für die sieben Mädchen übernehmen und schickten sie weg.
Padmini kehrte ins Haus ihres Vaters zurück und lebt seitdem dort. „Ich habe nichts. Alles, was mir bleibt, sind meine sieben Kinder und die Ausgaben für ihre Ernährung und Ausbildung“, sagt Padmini. Momentan leben sie von der Rente ihres 70-jährigen Vaters. Sie weiß, dass der Weg in eine bessere Zukunft nur über eine gute Ausbildung für die Kinder geht. „Der einzige Ausweg für die Kinder ist Bildung. Ich möchte, dass sie gut lernen und gute Jobs bekommen, damit sie zeigen können, dass Mädchen nicht weniger wert als Jungen und keine Belastung sind.“
Die 20-jährige Ruthvikha*, die älteste der sieben Schwestern, hat sich vor kurzem für ein BA LL. B.-Studium der Rechtswissenschaften eingeschrieben. Sie und ihre Schwestern sind entschlossen, fleißig zu lernen: „Ich muss studieren und erfolgreich sein, für mich und auch für das Überleben meiner Familie. Ich habe sechs Schwestern, die jüngste ist erst vier Jahre alt, und Bildung ist die einzige Möglichkeit, die wir haben“, sagt Ruthvikha.
Während die Familie zwischen Hoffnung und Verzweiflung um ihr Überleben kämpfte, unterstützte sie die Vicente Ferrer Stiftung in Indien (RDT) bei ihren Ausgaben und der Bildung der Mädchen. Die Familie nimmt am Ernährungsprojekt der Stiftung teil, um Mangel- und Unterernährung bei den Kindern zu verhindern. Padmini hat eine Nähmaschine von der Stiftung erhalten, die es ihr ermöglicht als Schneiderin zu arbeiten und so einen Beitrag zum Unterhalt der Familie zu leisten. Dank der Stiftung, die die Familie auch weiterhin unterstützen wird, haben Padmini und ihre Kinder Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die sie aus ihrer verzweifelten Lage befreit.
Die Vicente Ferrer Stiftung in Indien (RDT) setzt sich gemeinsam mit Frauen vor Ort dafür ein, dass die Gleichstellung der Geschlechter in Indien Wirklichkeit wird. Ein wichtiges Instrument dafür sind die Sanghams (Selbsthilfegruppen für Frauen), in denen Frauen sich vernetzen, Probleme in der Familie und Gemeinschaft thematisieren und zu lösen versuchen. Sie erhalten Zugang zu Darlehen oder Mikrokrediten, um unternehmerisch tätig zu werden. Auf diesem Weg erhalten Frauen die Möglichkeit, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen und selbstbestimmte Entscheidungen über ihr Leben zu treffen.
*Die Namen und persönlichen Daten wurden geändert, um die Privatsphäre der Personen zu schützen.
Text: Ernest Abhishek Paul Übersetzung: Vicente Ferrer Stiftung Deutschland