Barrieren überwinden, ein Leben in Würde ermöglichen
Die mobile Orthopädie-Werkstatt macht zum ersten Mal Halt in Singanamalla, einem Dorf im Südosten Indiens. Seit Januar 2020 ist der Van – mit einer Zwangspause durch die Ausgangssperre – in den verschiedenen Projektregionen der Vicente Ferrer Stiftung in Indien (RDT) unterwegs. Gehhilfen, Prothesen und andere Hilfsmittel für Menschen mit einer körperlichen Behinderung werden durch die Werkstatt bereitgestellt oder repariert.
„In der mobilen Orthopädie-Werkstatt können kleine Reparaturen durchgeführt, defekte oder fehlende Teile ersetzt sowie Abmessungen für die Anpassung von neuen Prothesen vorgenommen werden. Wir können die Menschen in der Nähe ihres Wohnortes beraten und versorgen. So müssen sie nicht den teilweise mühsamen Weg zu unseren Werkstätten in den Krankenhäusern in Bathalapalli und Kalyandurg auf sich nehmen“, erzählt Shekhar, Leiter der Werkstatt für Orthopädie und Prothesen in Kalyandurg.
Auf der Veranda vor der Stiftungsschule in Singanamalla, die auch als Gemeindezentrum fungiert, haben sich schon die Wartenden versammelt. Einer von ihnen ist der 14-jährige Charan. Er wurde mit einer Beinfehlstellung geboren, konnte nicht laufen lernen und musste von seinen Eltern überall hin getragen werden. 2012 wurde er im Stiftungs-Krankenhaus in Bathalapalli operiert und erhielt anschließend Prothesen, mit denen er selbstständig laufen konnte. Aufgrund eines Wachstumsschubes ist Charans Prothese nun zu eng geworden und er möchte sie neu anpassen lassen, damit er wieder bequem laufen kann.
Jeden Monat macht die mobile Orthopädie-Werkstatt Halt in 12 Regionen. Die Reise durchs Projektgebiet ist auch für die vier Mitarbeiter in der mobilen Werkstatt eine „neuartige Erfahrung“, wie Shekhar sagt. „Wir haben nun eine bessere Vorstellung davon, wie Menschen leben und mit welchen Problemen sie besonders in abgelegenen Gebieten konfrontiert sind. In die zwei Werkstätten in den Krankenhäusern kommen in der Regel nur die wirklich schweren Fälle, die anderen versuchen sich so „durchzuschlagen“.
Wie auch Balanna Talari. Seit dem Diebstahl seiner Krücken vor acht Jahren nutzt er einen Bambusstock als Hilfsmittel beim Laufen. Der ehemalige Schneider, der mittlerweile im Ruhestand ist, konnte sich keine Fahrt in die Werkstatt in Bathalapalli leisten und hatte sich so mit seiner Situation abgefunden. Von den Mitarbeitenden der mobilen Orthopädie-Werkstatt erhielt er nun neue Krücken. „Ich bin etwas nervös, wenn ich die neuen Krücken benutze, aber ich werde üben, damit ich wieder besser laufen kann“, erzählt Balanna Talari.
Anita ist eine der Patientinnen, die auch schon in der Werkstatt im Krankenhaus war. Mit fünf Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung und erhielt später in der Werkstatt im Krankenhaus in Bathalapalli-Prothesen und Krücken. „Die meisten Menschen, die in abgelegenen Dörfern leben, sind zwei Stunden unterwegs, um zu den Werkstätten in den Krankenhäusern zu gelangen. Wenn sie sich auf den Weg dorthin machen, können sie nicht arbeiten und verlieren den Arbeitslohn für diesen Tag. Die mobile Orthopädie-Werkstatt ist daher eine große Erleichterung, da sich die Menschen viel Zeit und Reisekosten sparen und ihnen die beschwerliche Reise in die Stadt erspart bleibt. Daher ist das Interesse auch immer groß, wenn die mobile Orthopädie-Werkstatt Halt macht“, erklärt sie.
Neben der Versorgung der körperlichen Beschwerden wird auch die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen thematisiert und angegangen: „Wir ermutigen unsere Patienten, ihre Hilfsmittel und Prothesen ohne Schamgefühle und Zögern zu benutzen, und bestärken sie darin, selbstbewusst mit ihrer Behinderung umzugehen,“berichtet Shekhar.
Text: Felita Viegas, Übersetzung: Vicente Ferrer Stiftung in Deutschland