Bharati und Netravathi verstehen sich ohne Worte. Sie haben sich vor vier Jahren kennengelernt, aber es fühlt sich an, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie teilen die gleichen Kindheitserfahrungen mit Einsamkeit und Diskriminierung.
Beide Frauen erkrankten als Kinder an Kinderlähmung und waren infolgedessen nicht mehr in der Lage zu laufen. Sie wurden von ihren eigenen Familien ausgegrenzt, weil sie Mädchen mit einer Behinderung waren. Kaum fähig, sich allein fortzubewegen, verbrachten sie Jahre allein in einer Ecke des Hauses sitzend, vernachlässigt und ignoriert. Sie waren immer die Letzten, die etwas zu Essen bekamen und sie haben keinen Schulabschluss, weil sie niemand zur Schule brachte. Die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung in Indien ist immer noch groß und Frauen mit Behinderung leiden zusätzlich unter geschlechtsspezifischer Gewalt.
„Niemand hat mich bei meinem Namen genannt. Ich war immer nur „die Behinderte“. Ich bin aufgewachsen, ohne zu wissen, wie ich mit Menschen umgehen soll. Wenn ich mit jemandem in Kontakt kam, hatte ich Angst “, erinnert sich die heute 30-jährige Bharati.
Bharatis und Netravathis Leben war geprägt von Ablehnung und Gewalt. Alles wendete sich zum Besseren, als sie Teil der von der Vicente Ferrer Stiftung in Indien (RDT) geförderten Nähwerkstätten wurden. Dort fanden sie nicht nur einen Job, der es ihnen ermöglichte, finanziell unabhängig zu sein, sondern auch Freunde und ein Netzwerk aus anderen Menschen mit Behinderungen und Unterstützern. Bharati und Netravathi können heute in Würde leben und sind froh ihre Vergangenheit voller Ausgrenzung und Vernachlässigung hinter sich gelassen zu haben.